Am 13.06.2019 haben wir als Projektgruppe „Gestrandeter Zug“ einen der wichtigsten Orte der Geschichte, mit der wir uns befassen, besucht. Am 07.04.1945 verließ ein Zug mit 2500 überwiegend jüdischen Austauschhäftlingen, der letztendlich in Farsleben gestrandet ist, das damaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Daher war es für uns wichtig, den Ort der Verfolgung zu sehen, den Ausgangspunkt für den Räumungstransport.
Ein Kamerateam des „Offenen Kanals“ Magdeburg begleitete uns, denn ein Dokumentarfilm soll entstehen, der die Aktionen unserer Projektgruppe und anderer Engagierter ein Jahr lang bis zum 75. Jahrestag der Befreiung im nächsten Jahr dokumentiert.
Nachdem wir das Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium um 7.30 Uhr verlassen hatten, kamen wir nach rund zweieinhalb Stunden Busfahrt in der Gedenkstätte nördlich von Hannover an. Mit einer Handkamera, die im Bus herumgegeben wurde, sprachen wir über unsere Erwartungen an diesen Tag.
In der Gedenkstätte angekommen, gab uns zuerst der wissenschaftliche
Leiter der Gedenkstätte Dr. Thomas Rahe einen Gesamtüberblick anhand eines
Modells des Konzentrationslagers, bevor er uns über das weitläufige Gelände des
ehemaligen Lagers führte und viel Wissenswertes erzählte.
Die heutige Gedenkstätte Bergen-Belsen war zu Anfang des Zweiten Weltkriegs
eine Barackensiedlung für Arbeiter und Soldaten, ab 1941 Kriegsgefangenenlager.
Mehr als 14.000 sowjetische Kriegsgefangene starben dort an Erschöpfung,
Unterernährung und Kälte. Ab 1943 übernahm die nationalsozialistische SS das
Lager und wandelte es in ein Konzentrationslager. 120.000 Häftlinge aus fast
allen Nationen waren zu dieser Zeit inhaftiert, über 53.000 von ihnen starben,
sodass insgesamt rund 70.000 Tote zu beklagen sind. Anders als das Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau diente Bergen-Belsen teilweise als Arbeitslager und nicht
vorrangig als Vernichtungslager. Am 15.04.1945 befreiten von Westen anrückende
britische Truppen das Lager. Die vielen Leichen wurden in Massengräbern
bestattet. Heute befinden sich dort Gedenksteine, die an die Opfer erinnern
sollen. In den Jahren nach dem Krieg rissen die britischen Besatzungstruppen
alle Gebäude ab, darunter auch die Häftlingsbaracken und das Krematorium, um
die Ausbreitung von Krankheiten wie Typhus zu verhindern. Daher ist auf dem Gelände
heutzutage leider nicht mehr so viel zu sehen, bis auf die Massengräber,
mehrere Gedenktafeln und Mahnmale, einem Obelisken und hochinteressante
steinerne Informationsstelen.
Herr Dr. Rahe führte uns zu den Fundamenten der Baracke von
jüdischen Austauschhäftlingen aus Ungarn. Diese waren in Projektworkshops von
Jugendlichen aus vielen Ländern freigelegt worden. Allein die Dimension der
Baracken überraschte uns. Das Gelände ist heute mit Bäumen bewachsen und wie
ein schöner Garten gestaltet, so soll gegen die Barbarei die Schönheit der
Natur und der Gestaltungswille einer
humanen Zivilisation gesetzt werden.
Angehörige der verstorbenen Häftlinge haben im Laufe der Jahre immer mehr
Gedenksteine errichten lassen, unter anderem auch für die wahrscheinlich
bekanntesten Häftlinge des KZ Bergen-Belsen, Anne und Margot Frank.
Nach einer kurzen Pause führte uns Herr Dr. Rahe durch die Dauerausstellung in dem extra gebauten Dokumentationszentrum, in der noch weitere Eindrücke zum Geschehen während der NS-Zeit gesammelt werden konnten. Der Schwerpunkt des Rundgangs war der historische Hintergrund des Lebens der Austauschhäftlinge, einer Besonderheit, wie sie nur im KZ Bergen-Belsen zu finden ist. Das interessierte uns natürlich besonders , denn genau zu diesem Thema recherchieren wir ja. Zwischen Juli 1943 und Dezember 1944 wurden fast 15000 jüdische Austauschhäftlinge in das KZ deportiert, aber nur etwa 2500 wurden tatsächlich ausgetauscht, d.h. gelangten in Freiheit. Sehr viele von ihnen wurden in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau weiter deportiert und dort ermordet. Videoaufnahmen von Micha Tomkiewicz, einem Überlebenden aus dem Zug, der am 19.08.2019 auch an unserer Schule zu Gast sein wird, wurden ebenfalls gezeigt. Ein weiteres Thema waren die drei Räumungstransporte, die Anfang April 1945 von Bergen-Belsen aus ca. 6700 Austauschhäftlinge in das Konzentrationslager Theresienstadt nahe Prag bringen sollten. Der Rundgang dauerte mehr als 2 Stunden, aber die Zeit verging wie im Fluge.
Am Nachmittag haben wir uns als Projektgruppe in der Bibliothek der Gedenkstätte zusammengesetzt und über bereits stattgefundene und zukünftige Veranstaltungen diskutiert. Herr Dr. Rahe gab uns Tipps und Anregungen, wie wir z.B. noch mehr Politiker für unser Thema interessieren können. Eigentlich wollten wir noch selbst Schicksale von Überlebenden „unseres“ Zuges an den Computern recherchieren, aber dafür reichte die Zeit nicht mehr.
Um 16:00 Uhr sind wir Richtung Wolmirstedt aufgebrochen und gegen 18:30 Uhr nach einem emotional berührenden und sehr informativen Tag im Konzentrationslager Bergen-Belsen an unserer Schule angekommen. Mit der Handkamera dokumentierten wir wieder unsere Eindrücke. Dieser Tag motiviert uns noch mehr, uns für diese Thema zu engagieren.
Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt und dem Landkreis Börde mit dem Projekt „Börde Bewegen Bewirken“ im Rahmen des Bundesprogrammes“ Demokratie leben“ für die finanzielle Unterstützung dieser Gedenkstättenfahrt.
Alexander Werner